Und wer macht dann die Arbeit?

Künstliche Intelligenz verändert die Wissensarbeit

„Die gesellschaftsverändernden Automaten,
lange erträumt, sind nun da: vernetzte Com-
puter und Roboter, ernährt von Daten, deren
Zahl jedes menschliche Vorstellungsvermö-
gen übersteigt, und eine immer autonomer
handelnde künstliche Intelligenz.“

Richard David Precht: Jäger, Hirten, Kritiker

Künstliche Intelligenz (KI) hat wenig mit menschlicher Intelligenz zu tun, es sieht bloß so aus. Man kann es natürlich auch so ausdrücken: Es sieht tatsächlich aus wie menschliche Intelligenz. Immerhin lassen sich auf diese Weise auch komplexe Abläufe auf Maschinen abbilden. Nicht nur in Fabrikhallen, sondern zunehmend auch in Büros.

Das unterscheidet KI von herkömmlicher Automatisierung und Rationalisierung: Sie beschränkt sich nicht mehr nur auf regelbasierte Abläufe und einfache Tätigkeiten, sondern umfasst auch immer komplexere Tätigkeiten. So konnte, wer in den letzten zwei, drei Jahren die Nachrichten aus der KI-Welt verfolgt hat, Erstaunliches erfahren. KI ist mittlerweile in der Lage, Aufgaben ganz oder teilweise zu übernehmen, bei denen wir uns bisher ziemlich sicher sein konnten, dass dafür nur Menschen in Frage kommen.

Eine so fundamentale Veränderung von Tätigkeiten bedeutet auch die Veränderung ganzer Berufe, gerade auch bei den Wissensarbeitern. Ein paar Beispiele aus potenziell betroffenen Berufsgruppen:

  • Ärzte: Automatisierte Medizintechnik kann jetzt schon Ärzte in Teilbereichen ersetzen. Es gibt zum Beispiel KI-gestützte Diagnoseverfahren, die die Möglichkeiten der Bildverarbeitung und -analyse für die Erfassung von Tumorzellen nutzen. Dabei erkennt die KI Tumore weit besser als Ärzte.
  • Anwälte: KI-gestützte Analysewerkzeuge sind in der Lage, Verträge zu analysieren und eigenständig neue aufzusetzen. Solche Maschinenanwälte werden mit Millionen von juristischen Dokumenten, Fallbeispielen und Anträgen trainiert und sind mit ihren Auswertungen natürlich schneller als jeder Menschenanwalt. Ich habe von einer Software gelesen, die in wenigen Sekunden eine so große Menge von Dokumenten analysieren kann, dass juristisches Fachpersonal dafür 360.000 Stunden brauchen würde.[i]
  • Journalisten: Content-Anbieter experimentieren schon seit längerem mit automatisch erstellten Texten. Natürlich wird ein KI-System keinen Pulitzerpreis bekommen, aber das ist auch nicht das Ziel. Es geht darum, einfache Massentexte zu erstellen, beispielsweise Börsentexte oder Sportnachrichten, vielleicht auch einfache technische Beschreibungen.

Die Liste von Berufen, die im Visier der KI stehen, ließe sich noch lange fortsetzen. Man könnte über die Mitarbeiter von Versicherungen und Banken sprechen, deren Aufgaben intelligente Systeme zum Teil schon übernommen haben; man könnte Kraftfahrer nennen, die durch das Autonome Fahren abgelöst werden können; über Call-Center, die durch Bots ersetzt werden, über Pflege- und Kochroboter, … und irgendwann werden einem außer Pfarrer, Gallerist und Bundeskanzler dann keine Berufe mehr einfallen, die von KI unberührt bleiben. Und selbst da wäre ich mir nicht ganz sicher.

Natürlich werden Ärzte, Anwälte und Journalisten durch KI nicht überflüssig. Wissensarbeiter werden immer benötigt. Die Tätigkeit eines Arztes erschöpft sich ja nicht in der Bildanalyse, die eines Anwalts nicht in der Vertragsgestaltung und die des Journalisten nicht im Schreiben von Börsennachrichten. Ärzte wird man immer brauchen, aber ob man nach 2030 beispielsweise noch viele Laborärzte braucht, das sei dahingestellt. Die Ärzte, Anwälte und Journalisten des Jahres 2030 werden andere Tätigkeiten ausführen als die des Jahres 2018.

Andere Tätigkeiten und andere Berufe, das bedeutet allerdings auch eine „Entwertung“ von Qualifikationen für die betroffenen Berufe. Know-how und Erfahrung, die gestern und heute angesammelt wurden, passen nicht mehr zu diesen neuen, teilweise oder ganz KI-gestützten Prozessen und Arbeitsprofilen. Entwertung von Qualifikationen heißt jedoch nicht, dass Menschen überhaupt nicht mehr gebraucht werden. Aber sie werden andere Dinge machen als bisher. Sie benötigen also auch neue und andere Qualifikationen. Dass wir dafür eine Bildungsoffensive brauchen, dürfte unstrittig sein. Doch das ist nicht alles: Wir müssen uns auch darüber im Klaren sein, dass die neu qualifizierten Beschäftigten nicht unbedingt dieselben sind wie die, die bisher die betreffenden Arbeiten ausgeführt haben.

Ohne Friktionen auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft insgesamt wird eine derartige Umwälzung nicht möglich sein. Und jenseits der Technologie werden wir auch darauf intelligente Antworten finden müssen. Dabei, so fürchte ich, wird uns die KI allerdings nicht weiterhelfen, da werden wir schon auf unsere natürlichen Ressourcen zurückgreifen müssen.

About the Author: Doris Albiez

Doris Albiez serves as Senior Vice President and General Manager of Dell Technologies Germany. She is responsible for the strategic alignment of the company and supports customers of all sizes in their digital transformation attempts. Doris joined in May 2013 from IBM, where she served as Vice President, Distribution Sales BPO & Midmarket – Germany. In this role, Doris was responsible for the complete partner organization including distribution, key, top and base partners, ISVs and OEMs. Prior to IBM, Doris was Vice President, Sales EMEA, at Navigon, where she developed and implemented the company’s EMEA sales organization, led the reorganization of Navigon’s sales organization in Germany, Austria and Switzerland (DACH), and successfully repositioned the company from a pure software vendor focused on the OEM business into a highly renown solution provider. Earlier in her career, Doris held a wide range of VP and senior sales & marketing roles at companies including DEC, HP, Macrotron, Polycom, and others. Doris was also a founder and owner of NetConsult, focused on providing executive level consulting around Sales & Marketing and Mergers & Acquisitions.