Der Innovationsstandort Deutschland muss aus seinem Dornröschenschlaf erwachen

Große Krisen fördern meistens auch große Leistungen zutage. Das hat die Corona-Pandemie unter Beweis gestellt: Noch nie wurden derart schnell Impfstoffe entwickelt und zur Marktreife gebracht wie im vergangenen Jahr. Kurz vor Ostern hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Biontech-Gründern Özlem Türeci und Ugur Sahin für ihre außergewöhnliche Leistung das Bundesverdienstkreuz verliehen. Die beiden stehen für den gelungenen Transfer von Grundlagenforschung in die Wirtschaft. Etwas, was hierzulande viel zu selten gelingt.

Zwar ist Deutschland ein Hightech-Land mit Spitzenforschung – aber ein Leichtgewicht im internationalen Vergleich, wenn es darum geht, aus Forschungsergebnissen Innovationen zu machen. Natürlich haben deutsche Tüftler schon weltverändernde Produkte hervorgebracht, von der Glühbirne über das Automobil bis hin zum MP3-Format reichen die Ideen. Gerade das Verfahren zur Kompression von Audiodateien, das von dem Fraunhofer-Forscher Karlheinz Brandenburg entwickelt wurde, zeigt aber, dass eine gute Idee zu haben, nicht bedeutet, sie auch gewinnbringend umzusetzen. Denn trotz Marktreife wurde das Verfahren kommerziell nicht im Entwicklungsland ausgeschlachtet – vielmehr haben amerikanische und asiatische Firmen Geld damit verdient. Auch bei Schlüsseltechnologien wie Künstlicher Intelligenz fällt Deutschland längst hinter Ländern wie den USA oder China zurück. Und in Bereichen wie Anlagenbau, Elektrotechnik und Maschinenbau, in denen deutsche Unternehmen nach wie vor den Takt vorgeben, droht der Verlust der digitalen Kompetenzen rund um die Industrie 4.0.

Glücklicherweise hat sich die Bundesregierung in den letzten Jahren massiv dem Thema Innovations- und Forschungspolitik zugewendet. Ein Stichwort in diesem Umfeld sind Energie- und Mobilitätswende und die damit verbundenen gesellschaftlichen wie politischen Debatten. Die Instrumente, mit denen der Staat Innovationen fördern kann, sind vielfältig: Etwa indem der öffentliche Sektor aktiv als Kunde auftritt, der neue Ideen und Produkte wie zum Beispiel Elektro- oder Hybridflotten für den öffentlichen Nahverkehr nachfragt. Oder indem innovativen Firmengründungen, die drängende gesellschaftspolitische Probleme lösen, steuerliche Entlastungen eingeräumt sowie ein übergreifendes Bildungs- und Forschungssystem etabliert wird, das den Wissensaustausch zwischen allen Stakeholdern fördert. Noch zielführender wäre es, wenn die EU-Mitgliedsstaaten ihre Start-up- und Innovationspolitik samt Verbraucherschutz- und Finanzmarktregelungen aufeinander abstimmen. Ein großer Markt mit all seinen Konsumenten könnte gegenüber so großen Ländern wie den USA oder China mehr Schlagkraft entwickeln und die technologische Souveränität Europas stärken.

Ein ganz anderer, aber mindestens genauso wichtiger Faktor liegt im Mindset. Wir müssen langfristig darauf hinwirken, dass Unternehmertum ein positives Leitbild in der Gesellschaft ist. Schon in der Schule können wir Wirtschaftskompetenz und unternehmerisches Denken in die Lehrpläne integrieren und so den Erfindergeist früh wecken. Das schließt natürlich auch eine Kultur des Scheiterns, die in vielen anderen Ländern selbstverständlich ist, und eine Abkehr von dem typisch deutschen Perfektionismus ein. Gerade in der digitalisierten Welt spielt das sogenannte Leapfrogging, also das Überspringen einzelner Entwicklungsstufen, eine große Rolle. Das betrifft beispielsweise nicht nur Technologien, sondern auch komplette Infrastrukturen. Afrikanische Länder setzten statt auf Festnetztelefonie von Beginn an auf den Ausbau mobiler Datennetze und passten Technologien wie Mobile Payment viel früher als alle anderen daran an.

Fakt ist, Innovationen sind der Treiber einer prosperierenden wirtschaftlichen Entwicklung. Zugleich schaffen sie den Handlungsspielraum, um mit neuen digitalen Lösungen und Technologien die großen gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit lösen zu können. Darüber hinaus steht für Firmen und öffentliche Einrichtungen, bedingt durch Corona, jetzt das Geld bereit, um längst nötige Innovationsvorhaben im Bereich Verwaltung, Bildung und Gesundheit in Angriff zu nehmen. Sowohl die deutsche Regierung als auch die Europäische Union greifen mit geplanten fiskalischen Anreizen ein, die in Deutschland 130 Milliarden Euro und auf europäischer Ebene 750 Milliarden Euro erreichen. Wenn nur ein Bruchteil für die Digitalisierung genutzt wird, schaffen wir die Grundlage für eine zukunftsfähige Gesellschaft. Die ganz selbstverständlich auch den technologischen Vorsprung durch innovative Produkte einschließt.

About the Author: Stéphane Paté

Stéphane Paté verantwortet das Deutschland-Geschäft von Dell Technologies. Zu seinen Hauptaufgaben gehört es, den Wachstumskurs des Unternehmens fortzusetzen und Kunden bei der digitalen Transformation ihrer Geschäftsmodelle auf Basis neuer Technologiekonzepte wie Künstliche Intelligenz, Multi-Cloud oder IoT/Edge-Computing zu unterstützen. Stéphane Paté arbeitet seit 2010 in verschiedenen Führungsrollen für Dell Technologies. Zuletzt war er als Vice President für das Großkundengeschäft in der Region Europe West verantwortlich. Vor seiner Zeit bei Dell Technologies war er unter anderem für Sun Microsystems, CGI, HP und die SAP tätig. Paté verfügt insgesamt über mehr als 30 Jahre Erfahrung in der ITK-Branche.