Angezogene Handbremse? Von wegen! Der deutsche Mittelstand gibt bei der Digitalisierung längst Vollgas

Über den Mittelstand ist immer wieder zu lesen, er verschlafe die Digitalisierung und sei damit drauf und dran, den wirtschaftlichen Anschluss in der Welt zu verlieren. Der Vorwurf ist dabei immer derselbe: Angesichts voller Auftragsbücher wiegen sich kleine und mittlere Firmen in trügerischer Sicherheit und seien nicht agil genug, wenn es darum geht, in neue, sprich digitale Technologien zu investieren und sich damit neue Geschäftsfelder zu erschließen. Was dabei gerne übersehen wird: Mittelständler innovieren gerne im Verborgenen. Zwar mögen amerikanische Konzerne wie Google, Amazon oder Facebook digitale Dienste für die Massen beherrschen. Bei der Digitalisierung der Industrie sind jedoch deutsche Unternehmen, oder vielmehr deutsche Mittelständler, Meister ihres Fachs. Beispiele dafür sind Legion: Nehmen wir die Firma EOS aus dem oberbayerischen Krailling, die im Bereich 3D-Drucker weltweit führend sind. Wenn es darum geht, Roboter mit digital gesteuerten Fingern auszurüsten, so dass sie Werkstücke exakt bewegen können, ist wiederum Schunk aus Lauffen am Neckar global die erste Anlaufstelle. TeamViewer mit Sitz im schwäbischen Göppingen, Experte für die Fernwartung von Computern und Smartphones, ist inzwischen rund um den Globus auf über 1,8 Milliarden Geräten installiert. Und die Volke Ent­wicklungsring SE mit Hauptsitz in Wolfsburg revolutioniert mit seiner Cloud-Modelling-Lösung gerade die digitale Fahrzeugentwicklung. So verschieden die Märkte und Geschäftsmodelle dieser Unternehmen auch sind, haben sie doch alle eines gemeinsam: Sie spielen mit ihren digitalen Lösungen auf internationaler Bühne ganz vorne mit. Hidden Champions – also unbekannte Weltmarktführer – werden solche erfolgreichen Mittelständler genannt.

Der Mittelstand muss sich also, was Innovationskraft und Zukunftsfähigkeit betrifft, weder vor großen Konzernen noch der internationalen Konkurrenz verstecken. Im Gegenteil: Mancher Firmenlenker kann sich ein Beispiel an ihm nehmen, wenn er den digitalen Anschluss nicht verlieren will. Während sich gerade börsennotierte und damit in der Regel ausschließlich ihren Shareholdern verpflichtete Großunternehmen in der Erreichung finanzieller Ziele verlieren, profitieren die in der Regel inhabergeführten Mittelständler von kürzeren Entscheidungswegen und einem engeren Kundenkontakt. Das fördert den Mut zum unternehmerischen Risiko, den Ideenreichtum und die Innovationskraft.

Alles gut also? Nicht ganz!

Trotz aller Erfolge brauchen kleine und mittlere Firmen noch deutlich mehr Unterstützung seitens der Politik, um ihr Potenzial wirklich vollends ausschöpfen zu können. Unterstützung heißt mehr finanzielle Förderung, weniger bürokratische Hürden und die richtige Infrastruktur, um am digitalen Wandel allumfassend teilhaben zu können. Die endlosen 4G-Funklöcher und der sich verzögernde 5G-Rollout blockieren technischen Fortschritt. Es fehlt ein innovatives Finanzierungsumfeld, das über klassische Anlageinvestitionen hinausgeht, Wagniskapital für Gründer mobilisiert und auch Investitionen in immaterielle Vermögensgegenstände ermöglicht. Gerade kleinen Betrieben, die noch am Anfang stehen, würden zudem ein vereinfachtes Steuermodell sowie weniger starre Regeln und Auflagen weiterhelfen, um schneller im Markt Fuß fassen zu können.

Es ist an den politischen Entscheidungsträgern, hier einen Ausgleich zu finden: zwischen freier Marktwirtschaft und der Förderung neuer Ideen, zwischen einer kritischen Technik-Folgen-   Abschätzung und der Schaffung einer Innovationskultur. Gelingt dies, wird Deutschland den Sprung von einer erfolgreichen Industrienation in eine erfolgreiche Digitalnation schaffen

About the Author: Doris Albiez

Doris Albiez serves as Senior Vice President and General Manager of Dell Technologies Germany. She is responsible for the strategic alignment of the company and supports customers of all sizes in their digital transformation attempts. Doris joined in May 2013 from IBM, where she served as Vice President, Distribution Sales BPO & Midmarket – Germany. In this role, Doris was responsible for the complete partner organization including distribution, key, top and base partners, ISVs and OEMs. Prior to IBM, Doris was Vice President, Sales EMEA, at Navigon, where she developed and implemented the company’s EMEA sales organization, led the reorganization of Navigon’s sales organization in Germany, Austria and Switzerland (DACH), and successfully repositioned the company from a pure software vendor focused on the OEM business into a highly renown solution provider. Earlier in her career, Doris held a wide range of VP and senior sales & marketing roles at companies including DEC, HP, Macrotron, Polycom, and others. Doris was also a founder and owner of NetConsult, focused on providing executive level consulting around Sales & Marketing and Mergers & Acquisitions.